Donnerstag, 22. Juni 2017

Your first breath took ours away

Geburtstbericht.

Schreibe ich einen? Schreibe ich keinen? Und wenn ich einen schreibe, dann lass ich die unschönen Details lieber weg. Zu verstörend. Aber dann fehlt ja die Hälfte?! 
Hin und Her überlegt. Gegrübelt. Gedanken geordnet. 
Die Geburt revue passieren lassen. 
Aus Erinnerungsfetzen wurden Stichpunkte. Aus Stichpunkten wurde ein Text. Und aus dem Text wurde die wohl schönste Geschichte meines Lebens. 
Die Geschichte der Geburt meines Sohnes. Ganz unverblümt.
Und sie soll so beginnen:

28.10. , Due Date, 10 Uhr Morgens, Frauenarzt- Praxis.

Ich habe noch ziemlich genau die Worte meiner Hebamme im Ohr:

"Wenn die Fruchtblase platzt - keine Panik - dann können Sie sich ruhig noch einmal entspannt ins Bett legen und weiter schlafen. Am besten lassen Sie auch Ihren Partner in Ruhe weiter schlafen, damit er noch etwas Kraft tanken kann. Wecken Sie ihn nicht."

29.10. , 2 Uhr Nachts , Schlafzimmer.

Ich habe versucht dem Rat meiner Hebamme zu folgen. Wirklich. 
Ich hab´s versucht:

"SCHEISSE! Wach auf! Oh Gott! Wach auf! Sie ist geplatzt! Was mach ich jetzt? 
Ruf ein Taxi! Nein, ruf kein Taxi. Ruf den Krankenwagen! Haben wir alles in der Klinik- Tasche? Wo ist die Tasche überhaupt? Ich zieh schon mal die Schuhe an."

Nachdem ich den langersehnten Moment ein wenig verdauen konnte, hatte ich trotz leichter Wehen beschlossen mich doch noch einmal hinzulegen um noch etwas zu schlafen. 
Ganze 30 Minuten habe ich ausgehalten. Mit Augen auf. Dann haben wir den Kranken- Transport gerufen. 

"Heute Mittag halten wir bestimmt schon unser Baby in den Armen!" Haha. Heute Mittag. Was ein schlechter Witz im Nachhinein. Ich Naivchen.

Denn im Krankenhaus angekommen ereilte uns erstmal folgende Neuigkeit:
"Aber Ihre Fruchtblase ist doch noch gar nicht geplatzt! Der Fruchtwasser- Test ist negativ!". Hebamme Petra war genau so fassungslos wie wir. Ich habe bis heute keine Ahnung was meine Pyjama- Hose stattdessen geflutet hatte, wenn nicht Fruchtwasser. Aber ehe ich überhaupt dazu kam darüber nachzudenken, sprach Hebamme Petra: "Dann können Sie theoretisch auch erstmal wieder nach Hause!". Nach Hause? Hat die wirklich gerade gesagt "nach Hause" ?! Während ich langsam weinerlich wurde und gehofft hatte, dass wir nicht nach Hause geschickt werden, schrie sich eine Frau im nebenanliegendem Kreißsaal die Seele aus dem Leib. Angsterfüllt schaute ich zu meinen Freund, dann mussten wir beide kichern. Wir blieben guter Dinge und waren uns ziemlich sicher: 
ICH werde nicht so schreien. Humor muss man haben!

Schichtwechsel, 5 Uhr Morgens. Hebamme Petra überreichte Hebamme Waltraut meine Patienten- Akte. Hebamme Waltraut schaute mich verdutzt an und fragte mich: "Kennen wir uns nicht? Wir kennen uns doch! Sie kommen mir so bekannt vor!"
Zerzauste Haare, verschmierte Wimperntusche, Jogginghose, schmerzerfüllter Blick. Mein Äußeres glich dem von Amy Winehouse nach einer zu langen Nacht im Pub. Ich weiß nicht genau mit wem sie mich verwechselt hatte. Ich jedenfalls hatte diese Frau noch nie in meinem Leben gesehen.
Wie dem auch sei. Sie schloss mich ans CTG. Leichte Wehen- Tätigkeit, noch nichts Dramatisches. Aber wir durften da bleiben!
Wir kamen in ein so genanntes Vorwehen- Zimmer in dem wir uns ein wenig ausruhen sollten. Das CTG blieb die ganze Zeit an meinem Bauch. Die Wehen blieben konstant. 

Schichtwechsel, 7 Uhr Morgens. Hebamme Carmen brachte uns ein Früchstücks- Tablett. Für meinen Freund eine Tasse Kaffee, für mich eine Tasse wehenfördernden Tee und ein Zäpfchen für den Muttermund- was vielversprechend klang blieb ziemlich erfolglos. 
"Dann machen wir jetzt erstmal einen schönen Einlauf!" -  Hebamme Carmen hatte eine ausgesprochen komische Definition von "schön". Aber nagut! Let´s do this. 

"Möchten Sie mal in die heiße Badewanne?" - Oh Ja! Nach dieser Tortur genau das Richtige! Dachte ich zumindest. Denn die heiße Wanne lies mich meine Wehen noch viel stärker empfinden als ohne hin schon. So hievte ich mich nach 10 Minuten Plansch- Vergnügen wieder aus der Gebär- Wanne und legte mich wehleidig zurück ins Bett. Mein Freund wich mir nicht von der Seite, streichelte meinen Bauch, sprach mir Mut zu und updatete nebenbei die ungeduldigenn und aufgeregten Familien- Mitglieder via WhatsApp- Familien- Chat. 

Schichtwechsel, 14 Uhr. Hebamme Luise stellte sich kurz vor und 5 Minuten später hatte ich schon eine Nadel in meiner rechten Po- Backe. "Jetzt werden Sie erstmal eine Weile schlafen, das wird Ihnen gut tun!". Wenigstens die Schlafmittel- Spritze hielt was sie versprach. Bis 17 Uhr konnte ich  schlafen, dann haben mich unsanfte Wehen geweckt. Meine Gefühlslage wechselte zwischen freudigem "Endlich geht´s los" - Gejauchze und "Es tut so weh"- Geseufze. Hebamme Luise hat uns gebeten auf dem Flur ein paar Runden zu drehen. Treppen steigen wäre auch super, meinte sie. Gesagt, Getan.
Mittlerweile waren die Wehen so stark, dass ich laut mittönen musste. 
Mittönen - das ist wirklich eine liebevolle Umschreibung, wenn man bedenkt dass man bei jeder Wehe rum stöhnt wie eine trächtige Kuh. Der fremde Mann, der etwas bekümmert mit im Flur saß und wohl auf seine schwangere Frau wartete um sie von der Vorsorge- Untersuchung abzuholen, hatte wahrscheinlich das Gleiche gedacht und sich gewünscht nicht anwesend zu sein. Aber in so einem Moment ist es einem (Gott sei Dank) herzlich egal, wer einem alles dabei zusieht während man sich aller 5 Minuten an einer Stange festklammert, in die Hocke geht und um sein Leben stöhnt. 
Zwei Stunden später gab´s Abendbrot. Ich hab nichts hinter bekommen. 

Wenn mich jemand fragen würde, was ich in diesen Stunden gedacht habe oder wie ich mich im Innersten gefühlt habe - Ich weiß es nicht. Man denkt nicht nach, man lässt schlicht über sich ergehen und ist ganz im Hier & Jetzt. 
Mittlerweile wurde mir aber bewusst, dass meine Hebamme im Geburtsvorbereitungs- Kurs nicht übertrieben hatte, als sie die lauten Stöhn- Geräusche nachahmte die eine Frau unter Wehen von sich gibt. Man ist wirklich sehr laut und ungehemmt. Ich wusste, ich werde wohl in den kommenden Stunden genau so laut schreien, wie die Frau von heute Morgen. 

Gegen 22 Uhr waren die Wehen dann so stark, dass es mir aller 3 Minuten den Boden unter den Füßen wegzog. Ich konnte mich nicht mehr auf den Beinen halten. Hebamme Luise brachte uns in den Kreißsaal. 
"Möchten Sie eine PDA? Soll ich die Anästhesisten rufen?" - ich glaube ich habe noch nie so schnell mit einem euphorischem "JA!" geantwortet. Keine 10 Minuten später wurde mir eine PDA gelegt. Das. Tat. So. Gut! 
Ich konnte wieder aufatmen. Mein Freund legte sich zu mir. Ich war vorerst erleichtert und dachte hoffnungsvoll, das Schlimmste sei jetzt bestimmt vorbei. 
Zwei Stunden später lies die PDA nach, die Schmerzen wurden immer schlimmer. Ich hielt es nicht mehr aus, drückte den Schwesternknopf und forderte eine erneute PDA. Die Hebamme gab mir aber nur noch eine leichte Dosis, da die Geburt nicht mehr in weiter Ferne schien. 
Mittlerweile wurde es Mitternacht und ich war mit den Nerven sichtlich am Ende. Ich wollte nicht mehr. Ich lag nun seit 20h in den Wehen. Und dann, wenn man am tiefsten Punkt seiner Motivations- Kraft angekommen ist, kündigen sich die ersten Presswehen an! Gegen 1.30 Uhr wurde es dann also ernst. Die Betäubung der zweiten PDA ließ nach und ich war wieder mittendrin im Schmerz. Stärker denn je. Dann kam auch schon die nächste Presswehe. Und ja, ich habe mindestens so laut geschrien wie die Frau vom vorigen Morgen. Ich habe mir den Schmerz "erträglicher" geschrien. Und zwar so laut dass ich das Gefühl hatte, der ganze Stadtteil hört mich.

Fun- Fact zum Auflockern:

Eine wohl sehr weise, frisch gebackene Mutter hat einmal folgendermaßen den Geburts- Schmerz beschrieben:
"Giving birth is like taking your lower lip and forcing it over your head".
Dem möchte ich nichts mehr hinzufügen. 

Auf jedes "Ich will nicht mehr" entgegnete mindestens eine von drei Hebammen lautstark: "DOCH - Sie schaffen das!". Und nach der nächsten Presswehe sagte die Ärztin, die zwischen meinen Schenkeln saß: "Der Kopf ist schon da, Frau Lenk, der Kopf ist schon da!". Und eine erste Erleichterung machte sich in mir breit, während ich mit meiner rechten Hand den Kopf tatsächlich fühlen konnte! Irre!
"Nach der nächsten Wehe halten Sie ihr Baby auf dem Arm!" - wenn das mal kein Motivationsschub war! Ich presste um mein Leben und eine halbe Minute später hielt die Hebamme mein Baby in der Hand. 

24 Stunden und 5 Hebammen später durfte ich nun endlich mein Baby im Arm halten. Richtige Wasserfälle haben wir geweint! Wir konnten unser Glück kaum fassen und gleichzeitig überhaupt nicht realisieren was hier gerade passiert ist. Die Strapazen der letzten Stunden - Vergessen! Geburtsschmerz - Was ist das?
Mein Baby schaute mir ganz tief in die Augen, als wollte es mir sagen: 
"Hallo Mama, schön Dich endlich zu sehen!".

- "Hallo Levi!"

Love at first sight. 









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